Christine Kamm berichtet vom World-Cafe im Geschwister-Scholl-Gymnasium, Ludwigshafen, das am 2. März 2016 stattgefunden hat
Für die Schüler der 12. Klasse des Geschwister-Scholl-Gymnasiums hat es am ersten Mittwoch im März nachmittags einen vom eigentlichen Stoff Religion, Latein etcetera abweichenden Unterricht gegeben: Zeitgeschichte zum Anfassen. Religons-Lehrer Richard Zurheide hat in Zusammenarbeit mit Eleonore Hefner vom Kulturrverein Rhein-Neckar ein „World-Cafe“ – ein ungezwungenes Treffen mit Flüchtlingen, die in den Zelten auf dem Messplatz in der Ludwigshafener Innenstadt leben, organisiert. An neun Tischen mit jeweils um die zehn Personen gab es verschiedene Themengebiete. Die Flüchtlinge erzählten von ihrer Flucht, von ihrer Heimat Syrien und von dortigen Bräuchen und Lebensgewohnheiten. Ein Einblick in die Gespräche mit Nadim Aibasha (30) aus Aleppo sowie Halabi Tayseer (35) und Fathallah Baladi (50), die ebenfalls aus der syrischen Stadt Aleppo stammen.
Berichte von
Tisch 1
Nadim Aibasha hat den Dialog mit den Schülern gesucht. Der 30-Jährige ist gelernter Ton-Techniker. Zu seinen Hobbies zählt, dass er gerne an Autos schraubt.
Nadim stammt aus Aleppo. Das klingt weit weg. Aber er ist vor sieben Jahren zweimal in Frankfurt gewesen, um die Firma Bosch zu besuchen. „Ich war sehr beeindruckt. Sie sind in der Tontechnik die besten in der Welt“, erzählt Nadim. „Das ist meine Arbeit.“ Das Eis ist im Gespräch gebrochen. Nadims Englisch sehr gut ist. Und Deutsch? Das ist in der Gräfenauschule im Hemshof sozusagen in Arbeit. Drei Stunden hat er täglich Unterricht. „Deutsch ist schwer“, findet er. Zwei Stunden geht er außerdem noch jeden Tag trainieren. Und dann geht’s zurück in das kleine Zeltlager, das er Camp nennt, „und dann wird etwas gekocht“. Die Schüler wollen wissen, was er Zuhause in Aleppo in seiner Freizeit gemacht hat. „In den Ferien, da feiern wir“, sagt er. Sich mit Freunden treffen und es sich gut gehen lassen, ist dann angesagt. Die jungen Syrer machen das gleiche wie die jungen Deutschen. Barbecue, also Grillen, steht hoch im Kurs. „Mit der Familie geht man früh ins Bett und mit den Freunden kann es auch mal richtig spät werden“, erzählt der 30-Jährige, der ledig ist. Und die Familie? Seine Familie sei in der Türkei in Bursa. 2014 sei sie dort hingegangen. Und ein Bruder ist in Kiel. Ihn hat Nadim an Silvester besucht. „Es ist sehr weit weg“, findet er. „Unser Zuhause ist zerstört“, berichtet Nadim, der in Deutschland gerne in seinem Beruf arbeiten würde, „aber erst wenn ich besser Deutsch kann“.
Die Schüler fragt er, was sie werden möchten? „Du siehst aus wie ein Ingenieur“, sagt er zu einem der Jungs – und alle lachen. Einer erzählt, dass er sich vorstellen kann, Lehrer zu werden, weil er auch möglichst viel Freizeit haben möchte, um Zeit für die Familie zu haben, die er sich wünschen würde. „Jeder bekommt in seinem Leben, was er will“, verspricht Nadim.
Tisch 2
Halabi Tayseer (35) und Fathallah Baladi (50) sagen: „Wir sind Freunde. Er ist mein bester Freund. Ich bin Christ“, erklärt Fathallah Baladi und lacht, „und er ist Moslem. Das war zwischen uns noch nie ein Thema“, sagt er und deutet auf Halabi Tayseer. Das friedliche Miteinander der verschiedenen Volksgruppen und Religionen habe in ihrer Heimatstadt Aleppo, der zweitgrößten Stadt in Syrien, problemlos funktioniert. Warum nun Krieg ist, „das verstehen wir nicht“, sagt Halabi Tayseer, der einige Jahre lang Pharmazie studiert hat, zuletzt aber als Buchhalter tätig war. Fathallah Baladi ist Bau-Ingenieur.
Die beiden haben sich für das Welt-Cafe etwas einfallen lassen. Sie möchten den Schülern ihre Stadt näherbringen. Sie haben Bilder ausgedruckt, vom Markt in der Altstadt – und einem nagelneuen Supermarkt. Es sind die beiden Welten zwischen denen sich die Bürger Aleppos frei bewegt haben. Bis der Bürgerkrieg angefangen hat, den keiner von ihnen wollte und will. „Vor fünf Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, einmal ein Flüchtling zu sein. Uns ging es gut. Wenn ich im Fernsehen Bilder aus Ländern gesehen habe, in denen Krieg war, hatte ich Mitleid mit den Menschen“, sagt Fathallah Baladi, der in Aleppo seine Frau zurückgelassen hat, die er im Kreis der Großfamilie aber gut behütet weiß. Offiziell ist gerade Waffenruhe. Seine Frau hat ihm am Telefon aber erzählt, dass geschossen wird.
Trotz aller Sorgen sind die beiden nett und lachen auch viel. Stolz berichten sie von ihrer Heimatstadt. Sie sei die älteste Stadt der Welt und stehe auch im Guinness-Buch der Rekorde wegen ihres 15 Kilometer langen Markts mit seinen 40 Straßen. Sie zeigen auch ein Bild der um die 5000 Jahre alten Zitadelle, einer Burg auf einem Hügel der Altstadt. Das große Eingangstor sei im Bürgerkrieg zwar zerstört worden, erzählt Halabi Tayseer, ansonsten sei sie aber unbeschädigt.
Der größte Unterschied zwischen ihrer Heimat und Deutschland sei, dass Aleppo abends erst richtig erwache, wenn die Leute in Deutschland schon ins Bett gehen. Gearbeitet wird tagsüber zwischen 9 und 16/17 Uhr. Dann wird gekocht. „Und danach wollen alle raus, sich die Füße vertreten, noch spazieren gehen oder ein bisschen einkaufen. Bei uns gibt es alles. Und das braucht eine Stadt auch. Eine Stadt muss ein gutes Marketing haben“, sagt Fathallah Baladi. Beide gehen am liebsten in die Altstadt zum weltberühmten gedeckten Basar (Souk oder Suk, wie es auf Arabisch heißt), der als einer der schönsten in der arabischen Welt gilt. Und weil da abends alle hingehen, wird viel geschoben und gedrückt. „Hier ist die Stadt abends tot“, stellen sie im Vergleich fest. Doch viele Läden ihres geliebten, zum Weltkulturerbe gehörenden Basars, der am Ende der in Indien beginnenden Seidenstraße liegt, sind zu Beginn des Bürgerkriegs einem Feuer zum Opfer gefallen. Brände hat es in der wechselvollen jahrhundertealten Geschichte des Handelszentrums allerdings immer wieder einmal gegeben.